Neulich las ich folgendes Zitat von Matthias Claudius:
"Der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll."
Dieser Satz hat mich nachdenklich gemacht. Normalerweise wird doch unter Freiheit verstanden, dass man tun und lassen kann, was man will. Freiheit ist doch, nach gängiger Meinung, dort, wo es keine Zwänge gibt. Freiheit bedeutet demnach Unabhängigkeit von anderen. Autonomie ist angesagt und nicht das Diktat durch jemand anderen.
Matthias Claudias (1740 - 1815) scheint das anders zu sehen. In seiner Zeit strebte das Bürgertum nach Freiheit. Kein Diktat mehr von oben, das das Tun und Denken bestimmte. Dem setzt sich Matthias Claudius entgegen. Wikipedia zufolge lehnte er die Aufklärung ab. Mit dem oben zitierten Satz macht er deutlich, dass wahre Freiheit eine innere und keine äußere ist.
Heute gehören wir zu den aufgeklärten Menschen. Eine so strenge Ständegesellschaft wie damals haben wir nicht mehr und Absolutismus haben wir auch nicht erlebt. Diejenigen, die im Westen Deutschlands oder erst nach der Wende geboren wurden, haben noch nicht einmal ein totalitäres Regime erlebt. Meinungs- und Entscheidungsfreiheit sind für uns ganz selbstverständlich. Dazu kommt noch die Prägung durch die Postmoderne in Gestalt der Vielfältigkeit - alles ist erlaubt, jeder darf tun und lassen, was er/sie will.
Wer will sich da noch diktieren lassen, was er zu tun oder zu lassen hat? "Ich muss nur eins - sterben" - sagen einige und bringen damit zum Ausdruck, dass sie sich eben nichts diktieren lassen wollen. Sie wollen autonom sein. Aber sind wir das wirklich? In der Wissenschaft wird darüber diskutiert. Da herrscht kein Konsens darüber, ob der Mensch wirklich einen freien Willen hat oder ob das nur Illusion sei. Sind wir also wirklich frei? Haben wir durch die Aufklärung tatsächlich die Freiheit gefunden oder sind wir heute nicht vielmehr Sklaven neuer Herren, die uns wie Weihnachtsgänse ausnehmen? Medien, Wirtschaftsbosse, Politiker etc. ...
Hat nicht vielleicht Matthias Claudius Recht damit, wenn er sagt, dass Freiheit dort ist, wo Wollen und Sollen zusammen treffen? Etwas wird doch nur zum Zwang, wenn man es nicht will. Wenn mir ein Lehrer zum Beispiel Hausaufgaben aufgibt, die ich gar nicht tun will, dann fühle ich mich unter Zwang. Wenn mich dagegen das Fach interessiert und ich die Aufgaben spannend und interessant finde, dann empfinde ich die Hausaufgaben nicht mehr als Zwang, sondern als gut. Fühlt man sich also wirklich eingesperrt, wenn Wollen und Sollen zusammen treffen? Vielleicht ist man dann äußerlich unfrei, aber ist man dann nicht eigentlich innerlich frei, weil man den Zwang gar nicht empfindet? Was denkt ihr darüber?